Full House bei der dreiteiligen Diskussionsreihe „Leerstand nutzen!“ im Festsaal der alten WU Wien. Bei der ersten Paneldiskussion „Leerstand im Wohnbau“ am 23. Oktober 2024 erläuterte der Salzburger Vizebürgermeister Kay-Michael Dankl, wie Leerstand in Salzburg erhoben und genutzt wird. Foto: eSeL.at/Robert Puteanu
Die von einer Allianz aus Wiener und bundesweiten Architektur- und Kulturorganisationen1 veranstaltete Diskussionsreihe „Leerstand nutzen! Möglichkeiten zur Aktivierung von Leerstand in Wien“ platzierte im Vorfeld der Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl 2025 die Erfassung und Nutzung von Leerstand als politisches Thema. Teil eins der von großem Medieninteresse begleiteten Reihe fand am 23. Oktober 2024 im prall gefüllten Festsaal der alten WU Wien statt: „Leerstand im Wohnbau“. Jetzt online nachsehen!
Wie soll in Wien zukünftig Wohnungsleerstand erhoben und genutzt werden? Und was lässt sich dazu von anderen Städten lernen? Darüber diskutierten am 23. Oktober 2024 im Festsaal der alten WU Wien Expertinnen und Experten aus den Bereichen Architektur, Forschung, Interessenvertretungen und Wohnungslosenhilfe: Elisabeth Hammer (Sozialwissenschaftlerin, Obfrau Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, Geschäftsführerin neunerhaus, Wien), Gabu Heindl (Architektin, Professorin für Bauwirtschaft und Projektentwicklung, Universität Kassel), Judith Lehner (Architektin, Leiterin Research Center for New Social Housing, TU Wien), Thomas Ritt (Ökonom, Leiter Abteilung Kommunalpolitik der Arbeiterkammer Wien) und Ulrike Schartner (Architektin, Vorsitzende Ausschuss Wohnbau und Leistbarkeit, Kammer der Ziviltechniker:innen für Wien, Niederösterreich, Burgenland). Moderation: Lene Benz (Architekturzentrum Wien).
Salzburg
Den Anfang machte Salzburgs Vizebürgermeister Kay-Michael Dankl (KPÖ) mit einem Gastvortrag zur Erfassung und Nutzung von Wohnungsleerstand in Salzburg. Seit Einführung des Salzburger Zweitwohnsitz- und Wohnungsleerstandsabgabengesetzes (ZWAG) im Jahr 2023 machen im Land Salzburg mittlerweile 61 von 119 Gemeinden von der Möglichkeit einer Leerstandsabgabe Gebrauch. Die Höhe der Abgabe liegt zwischen 400 und 5.000 Euro pro Jahr und Wohnung, für Neubauwohnungen bis 100 m² beispielsweise sind 2.000 Euro zu berappen. Eine Verfassungsnovelle von 2024, die das Recht auf Einhebung der Leerstandsabgabe vom Bund auf die Länder übertragen hat, macht nun eine Anhebung dieser Abgabe möglich, damit Wohnraum effektiver mobilisiert werden kann. Dankl: „Wir wünschen uns eine deutliche Erhöhung nach oben.“
Dankl sieht die Leerstandsabgabe in der Stadt Salzburg derzeit noch in einer Pilotphase – mit entsprechenden Anlaufschwierigkeiten. Wohnungen, die mehr als sechs Monate leer stehen, sind meldepflichtig, 2023 seien dieser Verpflichtung gerade einmal 35 Personen nachgekommen, so Dankl – die Stadt will hier mutmaßlich Abgabepflichtige über das Grundbuch ausfindig machen und ihnen auch Beratung anbieten. Daten zum Leerstand werden in der Stadt Salzburg über die durch das ZWAG ermöglichte Verknüpfung des Wohnungs- und Gebäuderegisters mit Wohnsitzmeldungen ermittelt, doch es gäbe zahlreiche Uneindeutigkeiten, ob Wohnungen tatsächlich leer stehen – die Stadt arbeite diese Klärungsfälle aktuell aber ab. Darüber hinaus biete das ZWAG derzeit zu viele Ausnahmen, kritisierte Dankl: Vererbte Wohnungen, Bauträger-Wohnungen und Vorsorgewohnungen sind von der Leerstandsabgabe ausgenommen.
Vielversprechend sei hingegen das Vorhaben, Daten zum Wohnungsleerstand mittels Stromverbrauchs- und Postzustelldaten zu erheben, zu deren Abfrage das ZWAG die Gemeinden berechtigt. Zudem hätten Studien auf Basis von Meldedaten zum Wohnungsleerstand in Neubauprojekten der letzten 20 Jahre in der Stadt Salzburg gezeigt, dass der gemeinnützige Mietwohnbau so gut wie keinen Leerstand kennt, während bei gewerblichen Mietbauprojekten sieben Prozent, bei gewerblichem Eigentum sogar 12 Prozent der Wohnungen leer stehen. Dies, so Dankl, sei „Wasser auf die Mühlen“ jener, die gemeinnützigen Wohnungsbau in Salzburg forcieren wollen. Leerstandserhebung und Leerstandsabgabe seien zwar aufwendig, aber in einer Stadt wie Salzburg wegen der hohen Mietpreise das Mittel der Wahl, so Dankl abschließend, denn: „Die Aktivierung von Leerstand ist jedenfalls schneller, ressourcenschonender und günstiger als der Neubau.“
Wien
Wie soll Wohnungsleerstand in Wien erfasst und aktiviert werden, wo Leerstandszahlen seit vielen Jahren fehlen und auch bei der Leerstandsabgabe bislang keine Fortschritte erzielt wurden? Ökonom Thomas Ritt von der Arbeiterkammer Wien verdeutlichte zunächst die Dimension des Problems: Die Wiener Meldedaten würden für den gemeinnützigen Wohnungsbau 94 Prozent der Wohnungen mit Hauptwohnsitz ausweisen, für den privaten Wohnungsbau jedoch nur 81 Prozent. Auch wenn mit diesen Zahlen noch keine Rückschlüsse auf den tatsächlichen Leerstand gezogen werden könnten, würde hier ähnlich wie in Salzburg ein deutlich höherer Leerstand im privaten Sektor sichtbar. Umso bedenklicher sei, dass der Anteil des gemeinnützigen Wohnungsbaus in Wien in den letzten 25 Jahren massiv zurückgegangen ist. Wurden im Jahr 2000 noch 80 Prozent der Wohnungen als Gemeindewohnung oder gemeinnützig errichtet, so würden heute bis zu 80 Prozent der Wohnungen von privaten Bauträgern gebaut. Ritt forderte in diesem Zusammenhang, gemeinnützige Wohnbauträger zu fördern und private vom Markt fernzuhalten.
Hinsichtlich der Erfassung von Leerstand schlägt Ritt anstelle einer aufwendigen Datenrecherche eine Umkehr der Beweislast vor: Vermieter*innen sollten Vermietungen nachweisen, ansonsten würde automatisch eine Leerstandsabgabe fällig. Die rechtliche Ausgestaltung der Leerstandsabgabe solle sich zudem an der neuen, durch die Verfassungsnovelle 2024 geschaffenen Rechtslage orientieren – auch, was die Höhe der Abgabe betrifft. Ritt stellte hier einen Betrag von 4.000 Euro pro Wohnung und Jahr in den Raum.
Die Leerstandsabgabe könne nur Teil eines breiten Maßnahmenbündels sein, meinten hingegen Judith Lehner vom Research Center for New Social Housing an der TU Wien und Architektin Gabu Heindl, Professorin an der Universität Kassel. Vielmehr sollten die Gründe für Leerstand ausgehebelt werden. Heindl sprach sich für eine Verunmöglichung von spekulativem Leerstand aus: Aktuell sei es profitabler, teure unvermietete Wohnungen im Portfolio zu haben, als diese günstiger zu vermieten – dies solle gesetzlich unterbunden werden. Für die Nutzung von dysfunktionalem Leerstand – unvermietbaren Wohnungen in schlechtem Zustand – solle ein Zugriffsrecht für die Stadt Wien geschaffen werden, damit diese die Wohnungen vermietet. Heindl: „Es ist die Pflicht der Öffentlichkeit, bestehenden Wohnraum zu aktivieren.“ Diese Art Zwangsvermietung wäre aber auch eine Maßnahme gegen den bewusst herbeigeführten Verfall von Privateigentum – ein auch ökologischer Aspekt. Kritisch sieht Heindl hingegen den Ruf nach steuerlichen Anreizen zur Aktivierung von Leerstand: Damit würde Leerstand auch noch belohnt.
Abseits aller strukturellen Maßnahmen forderten Architektin Ulrike Schartner von der Kammer der Ziviltechniker:innen und Elisabeth Hammer vom neunerhaus in Wien rasche Lösungen zur Aktivierung von Leerstand. Einerseits, um durch die Vermeidung von Neubau die Klimaziele möglichst schnell zu erreichen, andererseits, um akuter Wohnungsnot entgegenzuwirken – 12.000 Menschen seien in Wien wohnungslos, so Hammer. Heindl sprach sich diesbezüglich für die Legalisierung von Hausbesetzungen aus, Hammer für mehr Services zur Vermittlung leer stehender Wohnungen an Wohnungslose, wie sie das neunerhaus in Wien bereits jetzt anbietet. Leerstand nicht als Defizit, sondern als Potenzial zu sehen, forderte Judith Lehner: als Möglichkeit, mittels Pilotprojekten zur Leerstandsnutzung „Routinen zu verlassen, Alternativen zu testen und Zukunft anders zu machen“.