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Leerstand besteuern. Ein Bericht aus Salzburg

Öffentlicher Druck und die Folgen der Wohnungskrise führten in Salzburg zu einem Umdenken hinsichtlich des Umgangs mit Leerstand. Im Bild: ein aktuell besetztes, leerstehendes Wohnhaus in der Wiener Gumpendorfer Straße. Foto: Georg Scherer/ wienschauen.at

Wohnungsleerstand ist ein Missstand, den sich unsere Gesellschaft nicht mehr leisten kann. Diese Feststellung ist ebenso eine wohnungspolitische Diagnose wie eine politische Kampfansage.

Im Bundesland Salzburg haben der öffentliche Druck und die Folgen der Wohnungskrise bis hinein in die Mittelschicht 2019 zu einem bemerkenswerten Umdenken in der tonangebenden Regierungspartei ÖVP geführt: In einer 180-Grad-Wende erklärte Landeshauptmann Wilfried Haslauer, eine – bis dato als Enteignung diffamierte – Abgabe auf leer stehende Wohnungen einzuführen. Diese Reaktion galt vor allem der angespannten Situation in der Stadt Salzburg, wo einer erdrückenden Wohnkostenbelastung – Mieter*innen müssen im Schnitt das halbe Haushaltseinkommen für das Wohnen ausgeben – tausende leer stehende Wohnungen gegenüberstehen. Vorsichtige Studien anhand von Stromverbrauchs- und Meldedaten gehen von 2,8 bis 5,6 Prozent aus. Bei rund 90.000 Wohnungen im Stadtgebiet wäre das ein Vielfaches der Neubauleistung der letzten Jahre.

Auf Basis des Zweitwohnsitz- und Leerstandsabgabengesetzes hat die Hälfte der 119 Salzburger Gemeinden im Jahr 2022 eine Leerstandsabgabe per Verordnung eingeführt. Betroffen sind Wohnungen, die im Jahr an mehr als sechseinhalb Monaten keine Meldung aufweisen. Die Eigentümer*innen müssen gegenüber der Gemeinde eine Erklärung für das jeweilige Vorjahr leisten. Die Höhe der Leerstandsabgabe ist nach Wohnungsgröße gestaffelt (400 Euro bis zu 40 m2, 700 Euro von 40 bis 70 m2, 1.000 Euro für 70 bis 100 m2 etc.). Damit reizt die Stadt die gesetzlichen Höchstgrenzen aus. Für Neubauwohnungen, die vor höchstens fünf Jahren fertiggestellt wurden, gilt die doppelte Höhe.

Allerdings schreibt das Gesetz zahlreiche Ausnahmen vor, z. B. vererbte Wohnungen, Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern (mit bis zu drei Wohnungen) und je eine Vorsorgewohnung pro Kind bis zum 40. Lebensjahr. Hinzu kommen Zweitwohnsitze und Ferienwohnungen (für die eigene Vorgaben gelten), unbewohnbare Wohnungen, gemeinnützige und Gemeindewohnungen.

Wer sich nicht auf die Bereitschaft von Eigentümer*innen verlassen will, sich eigeninitiativ bei der Stadt zu melden und die jährliche Abgabe zu zahlen, muss einen erheblichen Aufwand in Kauf nehmen. Im Magistrat der Stadt Salzburg arbeiten mehrere Ämter und Abteilungen an der Leerstandsmobilisierung. Um die Leerstandsabgabe mit Leben zu füllen, kontaktiert die Verwaltung von sich aus Eigentümer*innen von Wohnungen ohne Hauptwohnsitzmeldung oder mit unklaren Verhältnissen. Ausgangspunkte bilden die Meldedaten und das Gebäude- und Wohnungsregister. Letzteres wird vom Baurechtsamt geführt. Die einst beträchtliche Zahl an Klärungsfällen konnte durch intensive Bereinigungsarbeiten auf unter 20 Prozent reduziert werden. Die Verbindung der GRW-Daten mit jenen des Meldewesens ergibt eine Liste an Wohnungen, bei denen es sich um Leerstände, um Meldefehler, aber auch um Zweitwohnsitze oder Ferienwohnungen handeln könnte. Auf Basis dieser Daten führt das Abgabenamt Erhebungen durch, die u. a. Grundbuchrecherchen und den Kontakt mit den Eigentümer*innen umfassen. Gemäß Landesgesetz müssen Energie-, Wasser-, Post- und Paketfirmen auf Anfrage der Behörde die entsprechenden Verbrauchsdaten für die Wohnung übermitteln. Die Vorgehensweise und Priorisierung konnte durch die Verbindung mit den Forschungsergebnissen zu Wohnungsleerstand und Mindernutzung verbessert werden.

Eine erste Studie des Salzburger Instituts für Raumplanung und Wohnen (SIR) von 2014 wurde 2022 mit neuen Daten aktualisiert. Als Indikator für Leerstand galt der Stromverbrauch. Lag dieser unter 200 kWh pro Jahr, stufte man die Wohnung als leer stehend ein. Die Studie kam auf 3.600 leer stehende Wohnungen, wobei die moderne Haustechnik zu einem höheren Basisstromverbrauch führt und eine höhere Dunkelziffer vermuten lässt. Eine Konzentration von Leerstand konnte für Eigentumswohnanlagen aus der Zeit der 1960er- bis 1980er -Jahre festgestellt werden, im geförderten Mietwohnbau jedoch kaum.

Einen anderen methodischen Zugang wählten die Autor*innen der Studie „Mindergenutzter Wohnraum in der Stadt Salzburg – Strukturen und Motivation von Wohnraum ohne Hauptwohnsitz“ des Fachbereichs Soziologie und Sozialgeografie der Universität Salzburg, ebenfalls im Auftrag der Stadt. Sie untersuchten größere Wohnbauprojekte zwischen 2000 und 2021 anhand von Wohnungs- und Meldedaten. Rund 7.300 Wohnungen wurden untersucht. Das entspricht rund 60 Prozent der seit der Jahrtausendwende errichteten Wohnungen im Stadtgebiet. Analysiert wurden Formen der Mindernutzung von Wohnraum, von Leerstand bis zur sporadischen Nutzung z. B. als „Festspielwohnung“. Rund 8,7 Prozent der Wohnungen wiesen keine Wohnsitzmeldung auf oder waren als Nebenwohnsitz gemeldet (2,9 Prozent). Wohnanlagen gewerblicher Bauträger*innen hatten stark erhöhte Leerstandsraten gegenüber gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen, ebenso Projekte mit hohen Eigentumsanteilen im Vergleich zu Mietwohnbau. Konkret waren bei gemeinnützigen Mietwohnbauten 1,9 Prozent ohne Meldung; bei gewerblichen Eigentumsanlagen standen 7,4 Prozent leer und 4,5 Prozent waren Nebenwohnsitze (in Summe 11,9 Prozent).

Noch ist bei der Salzburger Leerstandsabgabe das Verhältnis zwischen Verwaltungsaufwand und Nutzen ein ungünstiges. Die Gemeinde muss noch vor der Kontaktaufnahme mit einer*m Eigentümer*in viele Rechercheleistungen erbringen. Macht die*der Eigentümer*in einen Ausnahmetatbestand geltend – z. B., dass es sich um eine vererbte Wohnung handelt –, fällt keine Abgabe an. Die vielen Ausnahmen im Gesetz bewirken, dass die Stadt Salzburg für das Kalenderjahr 2023 nur rund 30.000 Euro eingenommen hat (bei 35 freiwilligen Meldungen). Hilfreich ist, dass die Abgabe bis zu fünf Jahre im Nachhinein eingefordert werden kann. Verweigert ein*e Eigentümer*in die Selbsterklärung, kann – mit der fortschreitenden Verbesserung der Gebäude- und Meldedaten – die Stadt auch Jahre später die Leerstandsabgabe vorschreiben.

Das Salzburger Landesgesetz war bei der Beschlussfassung 2022 eines der ersten unter den Bundesländern. Die Praxis der ersten Jahre zeigt, wo man es weiterentwickeln muss. So ist die Höhe zu niedrig bemessen, um leer stehende Wohnungen wirksam zu mobilisieren. Für eine Hundert-Quadratmeter-Wohnung beträgt sie rund 80 Euro im Monat. Wer auf steigende Immobilienpreise spekuliert und ohnehin auf (in Salzburg hohe) Mieteinnahmen verzichtet, lässt sich von solchen Summen wohl nicht beeindrucken. Eine wirksame Abgabe muss höher sein, um die finanzielle Gleichung von Vor- und Nachteilen des Leerstehen-Lassens zu verändern und einen Anreiz zur Nutzung der Wohnung darzustellen. Erwägenswert ist eine zeitlich gestaffelte Abgabe, die ansteigt, je länger die betreffende Wohnung leer steht. Darüber hinaus müssen die Ausnahmen reduziert und die Gemeinden bei der Anwendung besser unterstützt werden.

Eine Chance zur Weiterentwicklung der Salzburger Leerstandsabgabe ist jene Verfassungsänderung, mit der der Bund den Ländern im April 2024 mehr Spielraum bei Leerstandsabgaben gegeben hat. (Begründet wurde diese Maßnahme von der damaligen Verfassungsministerin Karoline Edtstadler mit dem „irren Zulauf“ zur KPÖ durch das Thema Wohnen bei der Salzburger Stadtwahl wenige Wochen zuvor.) In welchem Ausmaß von diesem neuen Recht Gebrauch gemacht wird, scheint noch offen zu sein. Während Salzburg unter einer ÖVP-geführten Landesregierung eine Leerstandsabgabe eingeführt hat, sind SPÖ-geführte Bundesländer noch außen vor. Die Steiermark scheint vor der Wieder-Abschaffung einer bereits bestehenden Leerstandsabgabe zu stehen. Die schwarzblaue Salzburger Landesregierung hat mehrere Anläufe, das Landesgesetz nachzuschärfen, blockiert und verweist auf geplante Evaluierungen. Vielleicht ändert sich mit dem für 2. Juli geplanten Amtsantritt der zukünftigen Landeshauptfrau Karoline Edtstadler etwas daran.

Die neue Salzburger Stadtregierung widmet sich in ihrem Arbeitsprogramm explizit dem Thema Wohnungsleerstand. Neben der verschärften Anwendung der Leerstandsabgabe stehen die Bewusstseinsbildung und Maßnahmen im Vordergrund, um leer stehende Wohnungen wieder rascher einer Nutzung zuzuführen, z. B. in Form von Beratungsangeboten oder einer Variation der bereits 2017 geprobten „Mietgarantie“, die Risiken des Vermietens durch eine zwischengeschaltete Stelle der Stadt reduzieren sollte.

Weiterführender Link: www.stadt-salzburg.at/presseaussendungen/presseaussendungen-2024/stadt-veroeffentlicht-studien-und-arbeitet-mit-expertinnen-an-strategie-zur-leerstandsmobilisierung

 

 

Kay-Michael Dankl

ist Historiker und Vizebürgermeister der Stadt Salzburg. Er ist in Salzburg und Tucson (USA) aufgewachsen. Nach seinem Studium leistete er einen Gedenkdienst in Straßburg. 2019 zog er mit einem Mandat in den Salzburger Gemeinderat ein, 2024 erhielt die KPÖ PLUS bei der Gemeinderatswahl zehn Mandate. Dankl wurde in Folge Vizebürgermeister für Wohnen, Bauen und Bodenpolitik.

Kay-Michael Dankl

ist Historiker und Vizebürgermeister der Stadt Salzburg. Er ist in Salzburg und Tucson (USA) aufgewachsen. Nach seinem Studium leistete er einen Gedenkdienst in Straßburg. 2019 zog er mit einem Mandat in den Gemeinderat ein; 2024 erhielt die KPÖ PLUS zehn Mandate ; Dankl wurde Vizebürgermeister für Wohnen, Bauen und Bodenpolitik.

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ist Architekt in Wien und seit 2021 Mitglied des Vorstands der IG Architektur. Publikationen (Auswahl): Reden wir über Baukultur! (Jovis, 2022), Vienna, Arrival City (Sonderzahl, 2020)

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