Die im Herbst 2024 veranstaltete dreiteilige Diskussionsreihe „Leerstand nutzen!“ platzierte im Vorfeld der Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl 2025 die Erfassung und Nutzung von Leerstand in Wien als politisches Thema. Foto: Georg Scherer/ wienschauen.at
Wien wächst, und gleichzeitig stehen Räume für Wohnen, Kultur, Bildung und Gewerbe leer. Im Herbst 2024 veranstaltete eine breite Allianz Wiener und bundesweiter Architektur- und Kulturinstitutionen die dreiteilige Diskussionsreihe „Leerstand nutzen! Möglichkeiten zur Aktivierung von Leerstand in Wien“. Die Diskussionsreihe wurde von großem Medieninteresse begleitet und platzierte im Vorfeld der Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl 2025 die Erfassung und Nutzung von Leerstand als politisches Thema. Grundlage der Diskussionsreihe ist ein Forderungskatalog, der zahlreiche Maßnahmen zur Aktivierung von Leerstand in Wien zusammenfasst. Jetzt downloaden!
„Der größte Beitrag zum Klimaschutz kann erzielt werden, wenn anstelle von Neubauten bereits bestehende Wohngebäude weitergenutzt werden.“ So lautet die wichtigste Empfehlung des Klimarats für den Bereich Bauen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Steht ein Gebäude leer, muss in einer wachsenden Stadt wie Wien neu gebaut werden – vorzugsweise am Stadtrand. Dies versiegelt nicht nur Grünraum und erzeugt viel CO2, sondern kostet auch viel Geld, und zwar doppelt. Einerseits ist der Neubau teurer als die Nutzung von Bestand, auch weil infrastrukturelle Leitungen und öffentlicher Verkehr in Neubaugebiete geführt werden müssen. Andererseits werden in der Bestandsstadt ebendiese Infrastrukturen teuer erhalten, aber nur unzureichend genutzt. Doppelte Kosten, die die Allgemeinheit trägt und die die Mieten nach oben treiben – für das Wohnen, aber auch für Nichtwohnnutzungen. Stehen Gebäude leer, leidet auch der öffentliche Raum: Er verödet und ist weniger sicher.
Die Nutzung von Leerstand ist also nicht nur ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz, sie spart auch Kosten und wird so zu einem wichtigen Hebel für eine effiziente Ausgabenpolitik der öffentlichen Hand, für leistbares Wohnen und leistbare Räume für kulturelle Gruppen, zivilgesellschaftliche Initiativen, Bildung und Kleingewerbe. Leerstand insbesondere im Erdgeschoß zu nutzen, macht öffentliche Räume attraktiver und ist damit auch ein Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit.
Säumiges Wien
Die Nutzung von Leerstand ist also ein Thema von größtem öffentlichem Interesse. Umso verwunderlicher, dass in Wien Politik und Stadtverwaltung seit Jahren einen möglichst großen Bogen um dieses Thema machen. Leerstandserhebung und Leerstandsabgabe sind in der Steiermark, in Salzburg, Tirol und Vorarlberg längst Praxis – nicht so in Wien. Dabei wird in Wien die Leerstandsquote allein im Wohnbau auf bis zu zehn Prozent geschätzt, genauere Zahlen gibt es nicht. Warum? Dafür werden keine Gründe genannt, und auch das ist ein Problem, da die Gerüchteküche so erst recht befeuert wird.
Mit einer Verfassungsänderung hat der Bund im Frühjahr 2024 das Recht zur Einhebung einer höheren, wohnraummobilisierenden Leerstandsabgabe auf die Bundesländer übertragen. Wien macht davon bis heute nicht Gebrauch. Der finanzielle Schaden, der der Allgemeinheit dadurch entsteht, ist beträchtlich, und er wächst mit jedem Tag.
Leerstand nutzen!
Eine breite Allianz Wiener und bundesweiter Architektur- und Kulturinstitutionen veranstaltete im Herbst 2024 die dreiteilige Diskussionsreihe „Leerstand nutzen! Möglichkeiten zur Aktivierung von Leerstand in Wien“.1 Die Diskussionsreihe fand bezeichnenderweise im Festsaal der alten WU in Wien statt – ein Bauwerk von Karl Schwanzer, das heute zwar noch zwischengenutzt wird, aber vom Abriss bedroht ist. Ziel der von großem medialem Interesse begleiteten Diskussionsreihe war es, im Vorfeld der Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl 2025 die Erfassung und Nutzung von Leerstand als politisches Thema zu platzieren.
Im Rahmen von drei Paneldiskussionen erörterten Expert*innen aus Politik, Verwaltung, Architektur, Immobilienentwicklung, Forschung und Interessenvertretungen die Erfassung und Nutzung von Leerstand in Wien anhand von drei Leerstandstypologien: „Leerstand im Wohnbau“ am 23. Oktober, „Leerstand im Erdgeschoß“ am 8. November und „Leerstand im Gewerbebau“ am 27. November.
Den Paneldiskussionen vorangestellt war eine im September durchgeführte, nichtöffentliche Dialogveranstaltung, bei der Expert*innen aus Verwaltung, Stadtplanung, Architektur, Kultur, Forschung und Interessenvertretungen sowie Aktivist*innen konsensuale Forderungen zur Erfassung und Aktivierung von Leerstand in Wien erarbeiteten. Die Forderungen wurden in einem Forderungskatalog zusammengefasst, der die inhaltliche Basis der nachfolgenden Paneldiskussionen bildete.
Zahlen, bitte!
Was sind nun diese Forderungen? Ganz grundsätzlich nennt der Forderungskatalog an erster Stelle die Notwendigkeit, den Begriff „Leerstand“ für Wien zu definieren. Denn anders als in der Steiermark, Salzburg, Tirol und Vorarlberg gibt es in der Bundeshauptstadt dazu noch keinen Konsens. Dem Vorbild der genannten Bundesländer folgend, könnten auch in Wien Wohnungen, für die mehr als sechs Monate im Jahr keine Wohnsitzmeldung vorliegt, als „leer stehend“ definiert werden.2 Noch nicht erfasst wären damit allerdings alle Nicht-Wohnbauten, aber auch Formen der Mindernutzung und Zweckentfremdung. Eine umfassende Definition von Leerstand würde also lohnen.
Zweite Forderung des Katalogs: die datenbasierte Erfassung von Leerstand als wichtigste Grundlage jeder zielgerichteten politischen Diskussion über die Nutzung von Leerstand. Seit Jahrzehnten fehlen in Wien valide Zahlen zum Leerstand – oder sie werden schlicht nicht veröffentlicht. Für den Bereich Wohnen weist die jüngste Registerzählung der Statistik Austria in Wien rund 100.000 Wohnungen (zehn Prozent des Wohnungsbestands) ohne Haupt- oder Nebenwohnsitz aus, doch auch diese Zahl lässt keine verlässlichen Rückschlüsse auf den tatsächlichen Wohnungsleerstand zu. Leerstand sollte daher durch die Verknüpfung unterschiedlicher Datenquellen erhoben werden: Wohnungsanzahl, Wohnsitzmeldungen, Gewerbemeldungen, Energieverbrauch, Müllmengen, Abwassermengen, aber auch KI-unterstützte Leerstandserfassung per Luftbild und Infrarotaufnahme, wie sie aktuell in Deutschland erprobt wird.3 Das Land Salzburg zeigt etwa gerade, dass die Leerstandserhebung über den Stromverbrauch datenschutzkonform möglich ist.
Neben der statistischen Erhebung von Gebäudeleerstand könnte durch die Einführung einer Leerstandsmeldepflicht, wie sie bereits in Salzburg und Tirol für Wohnungen besteht, mehr Bewusstsein für die Bedeutung und auch die öffentlichen Kosten von Leerstand geschaffen werden. Auch eine Umkehrung der Meldepflicht wäre denkbar: Wohnungseigentümer*innen könnten grundsätzlich die Vermietung ihrer Immobilie nachzuweisen haben – ansonsten wäre eine Leerstandsabgabe fällig.
Push and pull
Die Leerstandsabgabe ist denn auch die naheliegendste Möglichkeit, Leerstand zu sanktionieren – die Steiermark, Salzburg, Tirol und Vorarlberg machen es vor. Zusätzlich erhöht die erwähnte Verfassungsnovelle zur Einhebung einer wohnraummobilisierenden Leerstandsabgabe durch die Bundesländer den Druck, auch in Wien eine Leerstandsabgabe einzuführen. Zu diskutieren wäre jedenfalls die Höhe dieser Abgabe: Um tatsächlich wohnraummobilisierend zu sein, sollte sie ein Vielfaches der aktuell in den Bundesländern eingehobenen Leerstandsabgabe betragen. Derzeit liegt diese abhängig von der Wohnungsgröße und anderen Faktoren zwischen ca. 100 und 5.000 Euro pro Jahr4 – zu wenig, wie viele Expert*innen meinen. Denkbar wäre beispielsweise eine Leerstandsabgabe in der Höhe des marktüblichen Mietpreises plus Lagezuschlag, um Gewinne aus der Spekulation mit Leerstand abzuschöpfen.
Neben der Sanktionierung von Leerstand gilt es aber auch, Pull-Faktoren zur Mobilisierung von Leerstand zu schaffen. Förderungen und steuerliche Anreize wären hier ebenso zu nennen wie eine Umbauordnung, wie sie gerade in Niedersachsen eingeführt wurde. Eine Umbauordnung könnte baurechtliche Erleichterungen für die Um- oder Nachnutzung von Bestandsbauten definieren – etwa bei Raumhöhen, Brandschutz und Absturzsicherungen, aber auch hinsichtlich Raumlüftung, Schallschutz, Barrierefreiheit, Stellplatzanzahl und vielem mehr. Eine neue Widmungskategorie C („C“ für „Commons“) im Wiener Flächenwidmungs- und Bebauungsplan könnte zusätzliche Erleichterungen für die Nutzung von Bestandsbauten durch gemeinnützige, alltagsökonomische Wirtschaftsformen schaffen. Außerdem zu prüfen wären Möglichkeiten zur Vermietung leer stehender öffentlicher Immobilien unter Marktwert bei gemeinwohlorientierten Nutzungen – derzeit noch ein No-Go aufgrund nationaler und EU-rechtlicher Vorgaben, da eine Vermietung unter Marktwert beihilferechtlich relevant sein kann.
Maßnahmenbündel
Leerstandserfassung, Leerstandsabgabe, Anreize: Fest steht, dass es eines koordiniert geschnürten Maßnahmenbündels bedarf, um den Leerstand in Wien effektiv zu erfassen und zu nutzen. Der viel zitierte administrative Aufwand dafür ist angesichts der Mehrkosten durch Leerstand und Neubau kein Gegenargument. Vielmehr gilt es, Leerstandsnutzung gerade auch politisch positiv zu besetzen: als Weg zur leistbaren, inklusiven und nachhaltigen Stadt.
1 Die genannte Allianz besteht aus der Allianz für Substanz, dem Architekturzentrum Wien (Az W), der IG Architektur, der IG Kultur Wien (IGKW), der Österreichischen Gesellschaft für Architektur (ÖGFA) und der Kammer der Ziviltechniker:innen für Wien, Niederösterreich und Burgenland. Die Diskussionsreihe „Leerstand nutzen! Möglichkeiten zur Aktivierung von Leerstand in Wien“ wurde in Kooperation mit der Fakultät für Architektur und Raumplanung der TU Wien veranstaltet.
2 In der Steiermark, in Salzburg, Tirol und Vorarlberg gelten Wohnungen als leer stehend, wenn für sie mehr als sechs Monate bzw. 26 Wochen im Jahr keine Wohnsitzmeldung vorliegt, siehe § 8 Steiermärkisches Zweitwohnsitz- und Wohnungsleerstandsabgabegesetz (StZWAG), § 9 (Salzburger) Zweitwohnsitz- und Wohnungsleerstandsabgabengesetz (ZWAG), § 6 Tiroler Freizeitwohnsitz- und Leerstandsabgabegesetz (TFLAG), § 2 (Vorarlberger) Zweitwohnungsabgabegesetz (ZAG).
3 Siehe Martin Putschögl: KI-gestützte Erhebung zeigt mehr als 40.000 Industriebrachen in Deutschland, in: Der Standard, 11.10.2024, www.derstandard.at/story/3000000240105/ki-gestuetzte-erhebung-zeigt-mehr-als-40000-industriebrachen-in-deutschland.
4 Abhängig von der Wohnungsgröße und anderen Faktoren beträgt die jährliche Leerstandsabgabe in Salzburg zwischen 400 und 5.000 Euro, in Tirol zwischen 120 und 5.160 Euro und in Vorarlberg mindestens 8,20 Euro pro m2 (dabei sind unter bestimmten Voraussetzungen noch Abschläge von über 50 Prozent möglich) und höchstens 2.775 Euro. In der Steiermark dürfen für eine 100-m2-Wohnung maximal 1.000 Euro eingehoben werden, für größere bzw. kleinere Wohnungen erhöht bzw. vermindert sich dieser Betrag entsprechend. Siehe § 13 ZWAG, § 9 TFLAG, § 5 ZAG, § 12 StZWAG.