Wachsendes Wissen

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Leerstand, Wohnbau, Stadtentwicklung

Leerstände haben vielfältige negative Auswirkungen auf das Alltagsleben. Sie reduzieren die Nutzungsintensität der Infrastruktur, des öffentlichen Raums und anderer Freiräume und der Gebäude. Foto: Georg Scherer/ wienschauen.at

Leerstand taucht in wohnbau- und stadtentwicklungspolitischen Diskussionen regelmäßig auf – als ein Potenzial, wie mit wenig Ressourcen zusätzliche, dringend nötige Flächen verfügbar gemacht werden können, und das genau dort, wo man sie braucht und wo bereits Infrastruktur besteht. 2023 veröffentlichte die Statistik Austria Resultate der Gebäude- und Wohnungszählung 2021, die zeigten, dass in 13,3 Prozent aller Wohnungen in Österreich keine Person gemeldet war, das sind 653.000 Wohnungen. In Wien liegt der Anteil bei 9,7 Prozent bzw. 104.700 Wohnungen.1 Die Gründe dafür sind vielfältig: Es gibt die natürliche Fluktuation von leeren Wohnungen, wenn diese saniert, vererbt, verkauft oder neu vermietet werden – die Zahl dieser Wohnungen liegt aber natürlich weit unter dem genannten Anteil. In der Literatur wird eine Leerstandsquote von drei bis fünf Prozent als normal, natürlich oder angemessen angesehen, das wäre ein Drittel bis die Hälfte dieser Wohnungen ohne Wohnsitzmeldung.2 Es gibt auch Wohnungen, die aktuell nicht benützbar sind, aber wo bisher keine Sanierung stattfindet. Dazu kommen beispielsweise Wohnungen, die ohne Meldung bewohnt werden; Kleingartenhäuser, die eher nicht als vollwertige Wohnungen dienen können; sowie viele Zweitwohnsitze, von denen etliche sehr wohl als Hauptwohnsitz in Frage kämen; Wohnungen, die für Urlaubsgäste vermietet werden; aber auch solche, die für die zukünftige eigene Nutzung oder einfach nur als Anlageobjekt leer stehen gelassen werden, dessen Wertsteigerung man konsumieren will, ohne einen Mietertrag in Anspruch zu nehmen. Eine Studie von 2022 stellt für den Wohnungsneubau in Wien fest, dass der Besetzungsgrad bei Projekten von gemeinnützigen Bauträgern bei 90 Prozent liegt, bei gewerblichen Bauträgern liegt er bei 83 Prozent. Diese Differenz kann einen Hinweis auf das Ausmaß des spekulativen Leerstands geben.3

Die erste schwierige Frage beim Thema Leerstand ist somit: Was ist ein akzeptabler Leerstand und was nicht? Die Antwort darauf wird sicherlich vom aktuellen Wohnungsbedarf abhängen – der ist in Wien hoch, weil die Stadt stark wächst. Vermutlich können sich viele darauf verständigen, dass der spekulative Leerstand, also das Leerstehenlassen, weil die Wertsteigerung genug Ertrag ist, als negativ anzusehen und am ehesten mit Sanktionen zu belegen ist. Wie ist das jedoch, wenn man eine Wohnung für ein bald ausziehendes Kind freihält? Ist das akzeptabel für zwei, sechs, zwölf Monate? Oder länger? Und wie sieht es aus mit Ferienwohnungen – diese haben in Wien in den letzten Jahren enorm zugenommen, sodass in manchen Stadtteilen deutliche Wohnungsverluste bemerkbar sind; und auch ein Zusammenhang mit steigenden Mietpreisen kann angenommen werden. Auch eine solche Nutzung wird von vielen als sanktionswürdig angesehen, Leerstand im engeren Sinn ist das aber wohl nicht. Und natürlich gibt es in Wien viele Kleingartenhäuser, teils sicherlich vollwertig bewohnbar, teils auch nicht. 

Die zweite schwierige Frage ist: Wie kann man Leerstand und andere nicht akzeptabel genutzte Wohnungen für Wohnungssuchende verfügbar machen? Das scheint, jedenfalls bisher, schwieriger zu sein, als man glaubt. Beispielsweise gibt es in Wien aktuell laut insideairbnb.com etwa 13.800 Wohnungen oder Räume, die per Airbnb vermietet werden. Seit Mitte 2024 ist die Vermietung von Airbnb-Wohnungen für mehr als 90 Tage pro Jahr nur mit Ausnahmegenehmigung möglich. Seither wurden etwa 700 Vermietungsangebote angemeldet (das können natürlich auch jeweils mehrere Wohnungen sein), davon wurden 244 genehmigt. 337 Anzeigen wurden erstattet (Stand Ende Jänner 2025).4 Es scheint somit alles andere als leicht zu sein, die illegale Vermietung einzudämmen und diese Wohnungen für reguläres Wohnen verfügbar zu machen. Die Stadt Salzburg führt diesbezüglich derzeit wohl schärfere Kontrollen durch als Wien.5 Ähnlich schwierig könnte sich der Zugang zu spekulativem Leerstand gestalten – es gibt jedoch durchaus auch Ansätze, die diesen Zugang erleichtern, beispielsweise das Schweizer Modell der Eigenmietwertbesteuerung: Dafür werden Mietausgaben geschätzt, die man bezahlen müsste, wenn man eine Wohnung nicht besäße – für diese fiktiven Ausgaben bezahlt man in der Schweiz Einkommenssteuer. Ausnahmen davon gibt es nur, wenn das Objekt nicht genützt oder vermietet oder verkauft werden kann, das heißt, die Steuer fällt nicht an, wenn der Leerstand gegen den Willen der Eigentümer*innen besteht. Dieses Modell hat zur Folge, dass leerstehende Immobilien im laufenden Betrieb wesentlich teurer sind als in Österreich. Eigentümer*innen werden demnach viel eher versuchen, Wohnungen zu vermieten, als das anderswo der Fall ist, ohne dass der Staat kompliziert herausfinden müsste, wo Wohnungen leerstehen. Das macht das Modell wesentlich effektiver als die hierzulande diskutierten Leerstandsabgaben, die den unangenehmen Nebeneffekt haben, dass man die Wohnungen identifizieren muss, für die eine Abgabe anfällt. Umgekehrt kann davon ausgegangen werden, dass diese Kosten auf die Mieten aufgeschlagen werden. Allerdings gibt es seit Jahren Initiativen für die Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung.

Aber was bedeutet all das für die Baukultur? Leerstände in neuen Stadtentwicklungsgebieten ebenso wie in Stadtvierteln der Bestandsstadt haben vielfältige negative Auswirkungen auf das Alltagsleben in diesen Gebieten. Leerstehende Wohnungen reduzieren die Nutzungsintensität der Infrastruktur, des öffentlichen Raums und anderer Freiräume und der Gebäude. Das kann aus einer Nachhaltigkeitsperspektive ebenso wie aus einer sozialen Perspektive als negativ angesehen werden. Aber natürlich wird die abnehmende Nutzungsintensität in besonders intensiv genützten Gebieten von vielen auch als Erleichterung betrachtet. Das gilt allerdings nicht, wenn Wohnungen eben nicht leerstehen, sondern widmungswidrig etwa als Ferienwohnungen genützt werden – das kann die Nutzungsintensität und Belastung für die Bewohner*innen deutlich über die einer gewöhnlichen Wohnnutzung hinaus steigern. Ein ähnlicher Befund ergibt sich für leerstehende Erdgeschoßzonen. Sie machen den öffentlichen Raum unattraktiver, vermitteln ein reduziertes subjektives Sicherheitsgefühl und vergrößern Wege, das heißt, sie reduzieren die Qualität der Stadt der kurzen Wege, weil durch den Leerstand notwendige Alltagsziele vielfach nicht mehr in Geh- oder Fahrraddistanz zu finden sind. Insbesondere ist es sinnvoll, Zwischen-Leerstände von Gebäuden und Arealen, die auf eine (neuerliche) Entwicklung warten, deutlich zu reduzieren. So war die Absiedlung der Wirtschaftsuniversität aus dem Universitätszentrum Althanstraße im 9. Bezirk für das Kleingewerbe im Umfeld eine Katastrophe, unzählige Unternehmen mussten schließen. Die Neuentwicklung startet nun mehr als zehn Jahre später. Für derartige Zwischenphasen sollte durch regulative und ökonomische Erleichterungen eine rasche Wiedernutzung ermöglicht werden, die sich idealerweise eben nicht auf Zwischennutzung beschränkt, sondern durch den Erfahrungsgewinn, der mit der niederschwelligen, raschen Nutzung verbunden ist, auch Teil der längerfristigen Neuentwicklung werden kann. Harte Schnitte mit ihren negativen Folgen auf den Stadtraum können so teilweise vermieden werden.

Und schließlich stellt sich neben der Leerstandsfrage auch die der Flächensuffizienz. Die Wohnfläche pro Einwohner*in nimmt seit vielen Jahrzehnten zu, in Wien liegt sie laut Statistik Austria aktuell bei 36,7 m² (2024) und stagniert seit zwanzig Jahren. Zweifellos gibt es gerade in einer Großstadt wie Wien viele Einwohner*innen, die mit zu geringen Wohnflächen auskommen müssen und die deshalb mehr Fläche benötigen. Ebenso gibt es aber viele, gerade auch im Einfamilienhausbereich, die enorme Flächen pro Person in Anspruch nehmen und damit ähnliche Wirkungen wie Leerstand erzeugen. Flächensuffizienz – nicht blind für alle gleich, aber für jene Bereiche, in denen in der Großstadt Wohnflächenüberfluss herrscht – sollte ebenso ein Ziel einer verantwortungsvollen, zukunftsorientierten Stadtpolitik sein, auch wenn es ähnlich schwierig sein mag wie in der Leerstandsfrage, hier Fortschritte zu erreichen.

1 Tobias Thomas, Regina Fuchs: Wie wohnt Österreich? Gebäude- und Wohnungszählung 2021, Wien 2023; www.statistik.at/fileadmin/pages/355/Praesentation_Gebaeude-_und_Wohnungszaehlung_2021.pdf.
2 Dieter Rink, Manuel Wolff: Wohnungsleerstand in Deutschland. Zur Konzeptualisierung der Leerstandsquote als Schlüsselindikator der Wohnungsmarktbeobachtung anhand der GWZ 2011, in: Raumforschung und Raumordnung | Spatial Research and Planning Vol. 73, No. 5, September 2015, S. 6; doi.org/10.1007/s13147-015-0361-8.
3 Leonhard Plank, Antonia Schneider, Justin Kadi: Wohnbauboom in Wien 2018–2021. Preise, Käufer:innen und Leerstände in der Wohnbauproduktion, Wien 2022, S. 74f.; wien.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/meinestadt/wohnen/Studie_Wohnbauboom_Wien_2018-2021.pdf.
4 Rathauskorrespondenz vom 20.01.2025; presse.wien.gv.at/presse/2025/01/20/gaal-stadt-wien-setzt-neue-regulierungen-der-kurzzeitvermietung-konsequent-um.
5 Stefanie Ruep: Stadt Salzburg macht durch scharfe Airbnb-Kontrollen Wohnungen verfügbar, in: Der Standard, 18.03.2025, S. 8; www.derstandard.at/story/3000000261644/stadt-salzburg-macht-durch-scharfe-airbnb-kontrollen-wohnungen-verfuegbar.

 

Robert Temel

ist selbständiger Architektur- und Stadtforscher sowie Berater in Wien. Er studierte Architektur an der Universität für angewandte Kunst Wien und absolvierte das Postgraduate-Programm Soziologie am Institut für Höhere Studien in Wien. Er befasst sich mit der Nutzung und Herstellung von Architektur und Stadt mit Schwerpunkt auf Wohnbau, Stadtplanung und öffentlichen Raum.

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